Donnerstag, 18. Juli 2019


Folge 10

Am nächsten Morgen fahre ich weiter zum Gardasee. Als ich oben vom Paso St. Vincente aus den Bergen komme und den See vor mir habe, springt mir das Herz fast aus dem Mieder. Hier will ich sterben. Ein blöder Wunsch, wie sich Jahre später herausstellt.
In der Hotelvilla angekommen, werde ich misstrauisch begrüßt. Vincenso ist einkaufen. Ich bekomme ein kleines Zimmer zur Straße hin. So war das nicht verabredet. Bestellt hatte ich das große Zimmer mit Terrasse, schon wegen dem extra Zugang. Na, warten wir mal ab.
Wie sich herausstellte hat die Mutter dieses Zimmer nun belegt. Das Doppelbett, unser Doppelbett, ist einem Krankenbett gewichen. Sie wird wohl bald sterben. Im Hotel und im Restaurant herrscht chaotische Betriebsamkeit. Es fehlt der Feldwebel, der allen sagt, was gemacht werden muss. Zu allem Übel hat auch noch der Koch gekündigt, ihm war das alles zu unorganisiert und die Bezahlung zu schlecht. Jetzt kocht Vincenco, kauft für die Küche ein und ist völlig überfordert. Ich sehe ihn kaum. Er schleicht sich nachts in mein Zimmer und schläft direkt danach ein. Fast wie bei Verheirateten. Früh muss er raus Frühstück vorbereiten. Dann auf den Markt und in die Fischhalle. Dann vorbereiten, Mittagsmenue kochen,  Abendmenuekarte schreiben.........
Nix läuft rund. Das Hotel ist renovierungsbedürftig, ständig ist irgendetwas kaputt. Der Service entspricht nicht mehr dem gewünschtem Standard. Auch ausländische Gäste schätzen jetzt die gehobene italienische Küche. Von den ehemals vier Sternen sind noch mit zugekniffenen Augen, drei übrig. Wenn die tolle Lage nicht wäre und die treuen Stammgäste, würde hier keiner mehr absteigen. Die Geschwister streiten nur noch.
Ich fahre nach zwei Wochen mit gemischten Gefühlen heim.
Zu Hause erwartet mich die nächste Überraschung. Die Chefin ist ausgezogen. Sie hat die Nase voll. Sie ist nach Tegernsee gezogen und arbeitet in dort in der Filiale eines Münchner Trachtengeschäfts als Geschäftsführerin. Der Alte wünscht ihr die Pest an den Hals. Er hat keine Ahnung von der Buchhaltung, vom Einkauf, er war die vergangenen Jahre nur Chef. Er fragt mich, ob ich das machen könne. Ohhh neee, Mathe war nie meine Stärke. Ich besuche Kurse und lass mir vom Steuerberater helfen. Ich schau immer, wie die Chefin das im vergangenen Jahr gemacht hat und geb mein Bestes. Dabei fallen mir komische Buchungen in die Finger. Zahlungen an Berater, Provisionen für Vermittler, Bewirtungsbelege in schwindelerregender Höhe für Gesellschaftsjagden. Weihnachtsgeschenke an Stammkunden ???? Alles aus der Kasse, also bar bezahlt.
Am Ende des Jahres fragt der Steuerberater, warum ich keine Bewirtungsbelege und Geschenke abgesetzt habe. Fahrtkosten nach München etc. OK, reich ich nach, ich lerne schnell dazu.
Weihnachten kommt Vincenco in den Taunus. La Mama ist Mitte Dezember gestorben. Deshalb haben sie auch Betriebsferien gemacht. Die Handvoll Stammgäste hat Verständnis dafür. Was soll jetzt aus der Villa werden?  Die Brüder wollen verkaufen und mit ihren Familien neu anfangen. Vincenco will das nicht. Er ist ziemlich deprimiert.
Als ich an Ostern am Gardasee ankomme ist viel passiert. La Mama hat in ihrem Testament festgelegt, dass das Erbe durch vier geteilt wird und derjenige , der das Geschäft weiterführt, zwei von diesen 4 Vierteln erhält. Die anderen beiden je ein Viertel. Gut gedacht. Aber schon geht der Krach los. Plötzlich wollen alle das Hotel weiterführen, Familienbesitz, blablabla. Jeder für sich kann das nicht stemmen. Gemeinsam geht es gar nicht mehr. Wie heißt es noch? Redest Du noch mit Deiner Familie, oder hast Du geerbt.
Ich verbringe zwei verregnete Wochen dort, zwischen der zerstrittenen Familie.
Ebenfalls deprimiert komme ich nach Hause. Das Geschäft läuft mehr als schlecht. Auch weil der Landhausstyle nicht mehr gefragt ist.  Der Alte ist bissig und säuft ständig. Ich langweile mich im Laden rum. Wir verkaufen nix, daher brauchen wir auch keine neue Ware. Keine Messebesuche, tote Hose.
Ich ruf die Chefin an und bitte um Rat. Sie sagt, ich soll die Koffer packen und nach Tegernsee kommen. Sie hätte einen Job für mich. Neee , ich kann den Alten und sein sinkendes Schiff nicht im Stich lassen. Sie sagt nur, mach was Du meinst.
Im Herbst am Gardasee werde ich überrascht. Vincenso hat es geschafft. Er ist alleiniger Inhaber des Hotels. Er hat seine Brüder ausbezahlt und mit einem Reiseveranstalter einen Deal gemacht. Die bieten ihm garantierte Zahlungen, auch bei Nichtbelegung. Super. Allerdings muss er total renovieren. Dafür hat er Kredite aufgenommen. Jetzt muss er mal richtig hinklotzen. Vieles will er in Eigenleistung machen, Hilfe von Freunden, Schwarzarbeitern. Kenn ich irgendwie. Ich erzähl ihm von unserem Hausbau und allem. Auch, dass ich einiges Geld angelegt habe, vom Verkauf des gemeinsamen Hauses..........
Im Hintertaunus ist nix besser geworden, weder der Umsatz noch die Laune vom Chef. Oft muss ich Rechnungen, Versicherungsbeiträge, Steuern, aufschieben, weil kein Geld da ist. Wir sind am Ende. Ich hab keine Ahnung wie es weitergehen soll.
Diese Weihnachten bin ich am Gardasee. Die Villa hat sich verändert. Schick ist alles geworden. Jedes Zimmer hat ein kleines Bad. Alles ist neu gestrichen und tapeziert. Der Fliesenboden aufgearbeitet, alles blinkt und blitzt. Ich habe ein paar Vorschläge für die Innendeco, Gardinchen, Teppiche. Er freut sich über mein Interesse und ich darf die Bettwäsche und Handtücher aussuchen. Er ist erstaunt, wie ich mit den Großhändlern verhandele und Nachlässe heraushole. Das kenn ich von den Messen, sag ich ihm.
An Silvester macht er mir einen Heiratsantrag. Er versteckt einen Ring, ein Familienerbstück, im Dessert, wie romantisch.  Ich schwebe.
Zurück im Hintertaunus erwartet mich das Chaos schlechthin. Die Putzfrau kommt nicht mehr, weil sie schon seit Wochen kein Geld mehr bekommen hat. Der Gerichtsvollzieher hat sich angekündigt. Alles kommt unter den Hammer. Ich mache mit dem Insolvensverwalter  zwei Monate lang eine Aufstellung über den Warenbestand. Bezahlt werde ich noch bis Ende März, dann ist Schluss. Der Alte zieht zu seiner Schwester in den Nachbarort, na die wird ihren Spaß haben. Die mochte ihn schon nicht als er noch Geld hatte. Aber auf dem Dorf muss man da über seinen Schatten springen und Verwandte in ihrer Not aufnehmen, „was solle sonst die Leut denke.“
Ich bin jetzt erst mal arbeitslos und fahre an den Gardasee.

Morgen geht es weiter........

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