Am nächsten Morgen fahre ich weiter zum Gardasee. Als ich oben
vom Paso St. Vincente aus den Bergen komme und den See vor mir habe, springt mir
das Herz fast aus dem Mieder. Hier will ich sterben. Ein blöder Wunsch, wie
sich Jahre später herausstellt.
In der Hotelvilla angekommen, werde ich misstrauisch begrüßt.
Vincenso ist einkaufen. Ich bekomme ein kleines Zimmer zur Straße hin. So war
das nicht verabredet. Bestellt hatte ich das große Zimmer mit Terrasse, schon
wegen dem extra Zugang. Na, warten wir mal ab.
Wie sich herausstellte hat die Mutter dieses Zimmer nun belegt.
Das Doppelbett, unser Doppelbett, ist einem Krankenbett gewichen. Sie wird wohl
bald sterben. Im Hotel und im Restaurant herrscht chaotische Betriebsamkeit. Es
fehlt der Feldwebel, der allen sagt, was gemacht werden muss. Zu allem Übel hat
auch noch der Koch gekündigt, ihm war das alles zu unorganisiert und die
Bezahlung zu schlecht. Jetzt kocht Vincenco, kauft für die Küche ein und ist
völlig überfordert. Ich sehe ihn kaum. Er schleicht sich nachts in mein Zimmer
und schläft direkt danach ein. Fast wie bei Verheirateten. Früh muss er raus
Frühstück vorbereiten. Dann auf den Markt und in die Fischhalle. Dann
vorbereiten, Mittagsmenue kochen,
Abendmenuekarte schreiben.........
Nix läuft rund. Das Hotel ist renovierungsbedürftig, ständig ist
irgendetwas kaputt. Der Service entspricht nicht mehr dem gewünschtem Standard.
Auch ausländische Gäste schätzen jetzt die gehobene italienische Küche. Von den
ehemals vier Sternen sind noch mit zugekniffenen Augen, drei übrig. Wenn die
tolle Lage nicht wäre und die treuen Stammgäste, würde hier keiner mehr
absteigen. Die Geschwister streiten nur noch.
Ich fahre nach zwei Wochen mit gemischten Gefühlen heim.
Zu Hause erwartet mich die nächste Überraschung. Die Chefin ist
ausgezogen. Sie hat die Nase voll. Sie ist nach Tegernsee gezogen und arbeitet
in dort in der Filiale eines Münchner Trachtengeschäfts als Geschäftsführerin.
Der Alte wünscht ihr die Pest an den Hals. Er hat keine Ahnung von der
Buchhaltung, vom Einkauf, er war die vergangenen Jahre nur Chef. Er fragt mich,
ob ich das machen könne. Ohhh neee, Mathe war nie meine Stärke. Ich besuche
Kurse und lass mir vom Steuerberater helfen. Ich schau immer, wie die Chefin
das im vergangenen Jahr gemacht hat und geb mein Bestes. Dabei fallen mir
komische Buchungen in die Finger. Zahlungen an Berater, Provisionen für
Vermittler, Bewirtungsbelege in schwindelerregender Höhe für
Gesellschaftsjagden. Weihnachtsgeschenke an Stammkunden ???? Alles aus der
Kasse, also bar bezahlt.
Am Ende des Jahres fragt der Steuerberater, warum ich keine
Bewirtungsbelege und Geschenke abgesetzt habe. Fahrtkosten nach München etc.
OK, reich ich nach, ich lerne schnell dazu.
Weihnachten kommt Vincenco in den Taunus. La Mama ist Mitte
Dezember gestorben. Deshalb haben sie auch Betriebsferien gemacht. Die Handvoll
Stammgäste hat Verständnis dafür. Was soll jetzt aus der Villa werden? Die Brüder wollen verkaufen und mit ihren
Familien neu anfangen. Vincenco will das nicht. Er ist ziemlich deprimiert.
Als ich an Ostern am Gardasee ankomme ist viel passiert. La Mama
hat in ihrem Testament festgelegt, dass das Erbe durch vier geteilt wird und
derjenige , der das Geschäft weiterführt, zwei von diesen 4 Vierteln erhält.
Die anderen beiden je ein Viertel. Gut gedacht. Aber schon geht der Krach los.
Plötzlich wollen alle das Hotel weiterführen, Familienbesitz, blablabla. Jeder
für sich kann das nicht stemmen. Gemeinsam geht es gar nicht mehr. Wie heißt es
noch? Redest Du noch mit Deiner Familie, oder hast Du geerbt.
Ich verbringe zwei verregnete Wochen dort, zwischen der
zerstrittenen Familie.
Ebenfalls deprimiert komme ich nach Hause. Das Geschäft läuft
mehr als schlecht. Auch weil der Landhausstyle nicht mehr gefragt ist. Der Alte ist bissig und säuft ständig. Ich
langweile mich im Laden rum. Wir verkaufen nix, daher brauchen wir auch keine neue
Ware. Keine Messebesuche, tote Hose.
Ich ruf die Chefin an und bitte um Rat. Sie sagt, ich soll die
Koffer packen und nach Tegernsee kommen. Sie hätte einen Job für mich. Neee ,
ich kann den Alten und sein sinkendes Schiff nicht im Stich lassen. Sie sagt
nur, mach was Du meinst.
Im Herbst am Gardasee werde ich überrascht. Vincenso hat es
geschafft. Er ist alleiniger Inhaber des Hotels. Er hat seine Brüder ausbezahlt
und mit einem Reiseveranstalter einen Deal gemacht. Die bieten ihm garantierte
Zahlungen, auch bei Nichtbelegung. Super. Allerdings muss er total renovieren.
Dafür hat er Kredite aufgenommen. Jetzt muss er mal richtig hinklotzen. Vieles
will er in Eigenleistung machen, Hilfe von Freunden, Schwarzarbeitern. Kenn ich
irgendwie. Ich erzähl ihm von unserem Hausbau und allem. Auch, dass ich einiges
Geld angelegt habe, vom Verkauf des gemeinsamen Hauses..........
Im Hintertaunus ist nix besser geworden, weder der Umsatz noch
die Laune vom Chef. Oft muss ich Rechnungen, Versicherungsbeiträge, Steuern,
aufschieben, weil kein Geld da ist. Wir sind am Ende. Ich hab keine Ahnung wie
es weitergehen soll.
Diese Weihnachten bin ich am Gardasee. Die Villa hat sich
verändert. Schick ist alles geworden. Jedes Zimmer hat ein kleines Bad. Alles
ist neu gestrichen und tapeziert. Der Fliesenboden aufgearbeitet, alles blinkt
und blitzt. Ich habe ein paar Vorschläge für die Innendeco, Gardinchen,
Teppiche. Er freut sich über mein Interesse und ich darf die Bettwäsche und
Handtücher aussuchen. Er ist erstaunt, wie ich mit den Großhändlern verhandele
und Nachlässe heraushole. Das kenn ich von den Messen, sag ich ihm.
An Silvester macht er mir einen Heiratsantrag. Er versteckt einen
Ring, ein Familienerbstück, im Dessert, wie romantisch. Ich schwebe.
Zurück im Hintertaunus erwartet mich das Chaos schlechthin. Die
Putzfrau kommt nicht mehr, weil sie schon seit Wochen kein Geld mehr bekommen
hat. Der Gerichtsvollzieher hat sich angekündigt. Alles kommt unter den Hammer.
Ich mache mit dem Insolvensverwalter
zwei Monate lang eine Aufstellung über den Warenbestand. Bezahlt werde
ich noch bis Ende März, dann ist Schluss. Der Alte zieht zu seiner Schwester in
den Nachbarort, na die wird ihren Spaß haben. Die mochte ihn schon nicht als er
noch Geld hatte. Aber auf dem Dorf muss man da über seinen Schatten springen und
Verwandte in ihrer Not aufnehmen, „was solle sonst die Leut denke.“
Ich bin jetzt erst mal arbeitslos und fahre an den Gardasee.
Morgen geht es weiter........
Morgen geht es weiter........
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