Freitag, 19. Juli 2019


Folge  11

Die Küche wurde auch renoviert und Vincenzo hat einen Koch und eine Küchenhilfe eingestellt. Sind zwar  Marokkaner, egal man sieht es kaum und er kann kochen und ist mit weniger Gehalt zufrieden. Hat auch noch einen Neffen, der hilft mit, wenn es brennt, ist aber illegal hier. Das merkt keiner, ob da einer oder drei Marokkaner in der Küche wuseln. Die wohnen in dem kleinen Gartenhaus hinter dem Gemüsegarten. Duschen und Toiletten sind im Keller für die Angestellten.  Vincenzo hat ein Zimmer unter dem Dach für sich eingerichtet. Sehr klein, aber mit großem Bett. Mehr brauche er nicht. Das Hotel läuft gut. Samstags kommt der Bus, läd die Leute aus. Wir haben vier Doppelzimmer und vier Einzelzimmer. Ich sage schon wir, denn wir wollen bald heiraten. Da es sich überwiegend um alleinreisende Damen handelt, sind wir mit den Einzelzimmern sehr gefragt. Die Damen sind hellauf begeistert von einer deutschen Frau im Dirndl empfangen zu werden. Man spricht deutsch. Steht im Reiseprospekt.
Kurz vor Weihnachten heiraten wir. Jetzt bin ich Anfang 40 und Hotelbesitzerin. Wir heiraten im ganz kleinen Kreis. Nur mit Trauzeugen. Vincenzos Familie ist noch immer angepisst. Meine Eltern halten mich für verrückt, die haben sich eh nie um mich gekümmert, hatten immer nur eigene Probleme. Also lad ich die Chefin ein und Vincenso seinen besten Freund Michele. Durch die Heirat erhalte ich Bleiberecht und Arbeitserlaubnis. Ich löse meine Wohnung im Taunus auf und zieh mit Sack und Pack unter das Dach der Villa.
Ich bringe mich und meine Fähigkeiten in den Betrieb ein. Es fühlt sich wunderbar an, wenn man weiß, dass man alles für sich macht und nicht für irgendeinen Chef. Es ist unbestritten viel Arbeit, aber wir sind glücklich. Vincenzo ist überall, vor allem im Service und immer für die Gäste ansprechbar. Er ist charmant und flirtet mit den Damen. Wenn die Gäste auf den Tagestouren sind, machen wir die Zimmer sauber. Das ist praktisch wenn man solche Pauschalgäste hat. Die sind von 10h bis Nachmittag auf Besichtigung. Da haben wir genug Zeit, auch mal für uns. Das Restaurant ist nur in der Hauptsaison über Mittag geöffnet. Am Wochenende, wenn Wechsel ist, haben wir noch Hilfe von zwei Mädchen aus dem Ort, die sich was dazuverdienen. Betten neu beziehen, Zimmer klar machen. Die Bettwäsche bringen wir in eine Wäscherei. Das ist praktisch. In der Zwischensaison fahren wir auch mal weg und lerne Venedig von eine ganz anderen Seite kennen. Diese vielen Inselchen, eine mit diesem herrlichen Friedhof, San Michele. Auch die anderen sind zum Teil noch sehr ursprünglich. Die Touristen kennen nur die paar Hauptinseln, die Hotspots. Der Rest ist weithin unbekannt. Eine Insel hat es mir besonders angetan. Winzig, nur ein kleines Restaurant drauf und ein Garten voller Kunstwerke. Die Traghetti, Stassenbahnen, fahren zu dieser Insel, aber nur Eingeweihte steigen hier aus. Der Anlegesteg ist alt und unansehnlich, aber der Garten dahinter ist ein Märchenpark.
Auch der Lido ist unbeschreiblich schön. Diese Insel hat sogar Straßen. Man kann sein Auto von  Mestre mit der Fähre mit hierher nehmen. Es stehen hier unglaubliche Hotels. Das Westin Grand Hotel ist ein Traum. Die Bediensteten tragen venezianische Rococo Kleidung, verschwenderische Kleider für die Damen. Samtene Hosen und Rüschenhemden für die Herren. Hoteleigene Boote bringen die Gäste von Venedig herüber und gleiten durch einen privaten Kanal zum Anlegesteg, dort erwartet sie ein Mohr, irgendwie rassistisch. Der sieht Original aus wie der berühmte Sarottimohr, mit blau-goldenem Turban und Pluderhosen. Das Hotel ist wie ein Palast eingerichtet, mit Spiegelsaal, Garten, Erkern, Kuppeln  und Dachterrasse mit Zinnen, wie ein hochherrschaftliches Schloss. Die Speisen werden auf sehr teurem Porzellan und Kristall serviert. Am eigenen Strand stehen arabisch anmutende Pavillons, die mit feudalen Möbeln bestückt sind. Ein eigener Bootsanleger bietet alle Möglichkeiten für elitären Wassersport. Der Preis ist auch phantastisch. Eine Nacht kostet so viel, wie eine ganze Woche in unserem kleinen Etablissement. Wir staunen und übernachten in einem anderen Haus.
In unserer Villa läuft es super. Am Anfang des nächsten Jahres bittet der Steuerberater um ein Gespräch. Die Einnahmen decken nicht die hohen Belastungen. Hää. Vincenzo hat alles auf Kredit gebaut. Da das Haus aber nur in den Schönwettermonaten ausgebucht ist, reicht es hinten und vorne nicht. Ob wir denn gar kein Eigenkapital hätten, um umzuschulden. Dann hätten wir die monatlichen Zahlungen reduzieren können. Klar hab ich Geld und er soll das sofort machen, das mit dem Umschulden. Vincenzo strahlt. Gerettet. Ich erzähl das der Chefin, die ist entsetzt. Wie kannst Du Deine Unabhängigkeit so einfach verscherbeln.?.?
Um Kosten zu sparen kaufen wir eine große Industriewaschmaschine und waschen die Wäsche selbst. Dann wird sie draußen aufgehängt, gemangelt und fertig. Das mach ich dann abends, oder zwischendurch, wie ich Zeit finde.
Wir leben in unserem Alltagstrott. Manchmal vergesse ich, dass ich am See all meiner Sehnsüchte lebe. Kaum noch Freizeit. Wenn keine Gäste da sind, muss renoviert, ausgebessert, ausgetauscht werden. Ich war lange nicht mehr in Verona in der Arena, wovon alle schwärmen und weshalb die zum Teil hier sind. Das habe ich vor Jahren einmal gesehen, muss aber keiner von den Gästen wissen. Manchmal bin ich auch einfach froh mal nix zu tun. Auch mal im Liegestuhl liegen, ein Buch lesen oder abends einfach Fernsehen. Vincenzo ist dann viel unterwegs und schaut was die anderen Hotels und Restaurants so neues bieten. Trentessen, darf man nicht verpassen. In einem Jahr sind es Bruscchetta im nächsten Carpaccio, dann mal irgendein Fisch Tartar. Ruccola ist angesagt. Die Gerichte werden einfacher ursprünglicher, aber teurer. Für unsere Pauschaltouristen bleibt es beim althergebrachten. Leichtes Essen für ältere Leute, kleine Portionen, viel Deco und Klimbim.
Die Jahre ziehen vorbei. Wir sitzen wie auf einem Karusell. Immerwieder die selbe Runde.
Im Sommer arbeiten, im Winter renovieren, reparieren. Mal ausspannen, mal ein kleiner Ausflug.
Ich frag irgendwann mal nach, ob wir im Winter mal Urlaub machen könnten. Vincenzo grinst, klar, wir können in den Taunus, hahaha. Mal umgekehrt. Ich bin not amused.
Ich bin mittlerweile Mitte 50. Die Jahre sind an uns vorbeigerannt. Unsere Ehe schläft. Aber der Laden läuft. Wir können jetzt über Rücklagen nachdenken.
Dann passiert es. Ein Sommergewitter reißt uns das Dach vom Kopf, mitten in der Saison. Wir sind nicht ausreichend versichert. Es muss alles schnell repariert werden. Die oberen Zimmer sind unbewohnbar. Der starke Regen hat auch die Decken in den unteren Etagen erreich. Die Tapete hängt in Wellen herab. Jeder ausgefallene Tag kostet uns doppelt. Keine Einnahmen und Ausfallentschädigung für den Reiseveranstalter . Und wir fallen 6 Wochen aus. Keine ausreichende Versicherung. Wir sind pleite.
Den Koch und seine Helfer müssen wir schweren Herzens entlassen. Dafür stellen wir eine Küchenhilfe ein, eine Bulgarin. Sie war mal Sängerin in einer Band. Sie trällert den ganzen Tag, Vincenzo gefällt das.
Die Rezeption und den Service übernehme ich.
Es ist unglaublich viel Arbeit, die nie ein Ende anzeigt. Du bist immer eine Stunde hintendrein. Morgens Frühstück machen, dann die Tische abräumen und für den Mittag zurechtmachen. Manchmal kommen Tagesgäste zum Essen. Vincenzo war in der Zeit auf dem Markt, die Küchenhilfe singt und spült. Dann muss ich die Zimmer machen, Wäsche waschen. Buchhaltung wenn wer innerhalb der Woche ein-oder auscheckt. Mittagessen servieren, smalltalk.....jaja das Wetter, blablabla.  Nachmittags mangeln, Wäsche wegsetzen, später die Gäste wieder empfangen und smalltalk..... war‘s schön? Tolle Fahrt, jaja Verona ist ein Traum...........an den meisten Orten war ich zuletzt als Kind mit meinem Vater. Die vergangenen Jahre war dazu keine Zeit mehr.
Nachdem ich das Abendessen serviert habe, warte ich dann an der Bar auf meine liebsten Gäste. Pauschaltouristen sind pflegeleicht, aber geizig. Die glauben das sei alles inclusive.
Bei der Halbpension ist Frühstück und Abendessen, inclusive einem Glas Wein.
Die meisten Sparbrötchen bringen dann ihre Wasserflasche vom Ausflug mit an den Tisch und verdünnen den Wein bis zur Unkenntlichkeit. Danach ab ins Bett, oder auf den Balkon und eine im Supermarkt gekaufte Flasche Wein geköpft. Es gibt aber auch ein paar Schätzchen, die noch einen Espresso und einen Grappa nehmen. Dann auch noch ein Glaserl Wein. Manche sind dann so anhänglich und erzählen und erzählen und erzählen, „aufregende“ Begebenheiten aus ihrem Leben. Mir fallen ab 22 h die Augen zu. Die Küchenhilfe singt nicht mehr, also ist die auch schon im Bett. Vincenzo erscheint kurz, trinkt einen Grappa mit den Gästen, natürlich aufs Haus, mir hams ja, dann ist auch er weg. Ich muss bleiben, bis die letzte Sabbelschnute geht. Gute Nacht Gardasee.


Morgen geht es weiter.......................

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